„Data Rules!“ – lautet die Botschaft einer Branche mitten auf dem Weg in eine ungewisse, digitale Zukunft. Auf dem Kongress „Zeitung Digital“, letzte Woche von den beiden Branchenverbänden BDVZ und WAN-IFRA in Berlin veranstaltet, trafen sich mehrere hundert Vertreter des News-Journalismus, um Digital Publishing Konzepte zu diskutieren. Das Fazit fiel – zumindest aus meiner Sicht – ernüchternd aus.
Einige Printkunden lesen nun digital: Ist das Digital Publishing der Zukunft?
Denn vor allem die Praxisbeispiele, die aufzeigen sollten, wie sich heute online Geld verdienen lässt, demonstrierten, wie sehr sich das digitale Geschäft an analogen Wegen orientiert. Die ZEIT Verlagsgruppe etwa verzeichnet dank ihres Zusatzangebotes Z+ steigende digitale Abonnentenzahlen. Die digitale Auflage werde von Z+ „beflügelt“, hieß es euphorisch. Erreicht habe man dies durch drei strategische Maßnahmen: die Angleichung des Online-Preises an den Preis einer Printausgabe, vermehrte Aktionen im Social-Media-Bereich und beim E-Mail-Marketing sowie eine digitale Paywall, hinter der sich die Z+-Angebote verbergen.
Das stimmte mich nachdenklich. War das alles? DIE ZEIT ist unbestritten und zu Recht eines der renommiertesten und qualitativ hochwertigsten Blätter in Deutschland. Im Printbereich traditionell stark, sanken die Auflagenzahlen und Werbeinnahmen der Wochenzeitung in den letzten Jahren unterdurchschnittlich. Zusatzangebote, wie etwa der Shop für exklusive Geschenke oder Reisen, wurden über Jahre hinweg etabliert und tragen einen nicht unmaßgeblichen Teil zum Umsatz bei.
Und nun schlug die Redaktion einen erfolgreichen digitalen Zusatzweg ein – erreicht mit klassischen Mitteln der Kundenansprache. Was früher als breit gestreuter Werbeflyer ins Haus flatterte, wird heute zusätzlich per Social Media an die Leser gebracht oder landet im E-Mail-Postfach. Datenanalysen werten die Interessen aus, um den Newsletter zu personalisieren. So weit so erfolgreich: Die leicht sinkenden Printeinnahmen können so überkompensiert werden. Jedenfalls bisher. Von neuen Digital Publishing Konzepten keine Spur. Etwas rüde zusammengefasst: Lediglich die Ansprache potentieller neuer Leser findet nun über neue Kanäle statt und ein Teil des Contents muss jetzt digital bezahlt werden.
Mich überraschte, dass man solche Erkenntnisse im Jahr 2018 innerhalb eines Fachpublikums diskutiert.
Digitale Penetration der Kunden hat nichts mit Digital Publishing zu tun
Ähnlich, nur krasser, die Herangehensweise von BILD. Mit BILDplus hat der Verlag ebenfalls ein digitales Angebot geschaffen, welches teilweise kostenpflichtigen Content enthält. Umfangreiche Datenanalysen liegen der digitalen Strategie zugrunde. Diese brachte Fakten zutage, wie dass die Print-Leser über 50 Jahre alt seien, während sich auf Snapchat eher Menschen unter 30 bewegen. Themen rund um Beziehungen von mehr oder weniger bekannten Promis sowie Berichte über Verbrechen im weitesten Sinne finden online die meisten Leser. Das habe Folgen für die Vermarktungsstrategie in den verschiedenen Kanälen.
Mich überraschte, dass man solche Erkenntnisse im Jahr 2018 innerhalb eines Fachpublikums diskutiert. Sind das nicht Erfahrungen, die seit Jahren bekannt sind? Fängt die Branche tatsächlich jetzt erst an, sich darüber Gedanken zu machen, über welchen Kanal man den eigenen Content noch streuen könnte?
BILD gewinnt neue Online-Leser wohl vor allem durch ein ausgeklügeltes Penetrations-System. Man wolle „den Nutzer dort abholen, wo er bereit ist, zu zahlen“, hieß es und meinte damit ständiges Aufmerksammachen auf das Online-Abo. Hat der Nutzer nach mehrmaliger Ansprache noch immer keinen Vertrag abgeschlossen, bekommt er preisgesenkte Angebote desselben Produktes. Kann er sich dann noch immer nicht durchringen, bekommt er die folgenden Wochen ein anderes Produkt angeboten. Der Targeting-Funnel, vor allem generiert durch Facebook, gebe hier zielgenaue Möglichkeiten.
Fazit: Es ist noch Luft nach oben.
Ich möchte diese beiden Fallbeispiele keineswegs bewerten. Zum einen sind sie nur exemplarisch, zum anderen stehen hier Branchenexperten dahinter, die ihr Geschäft bestens kennen und denen der dargestellte digitale Erfolg – zumindest derzeit – Recht gibt. Für den Moment und vielleicht die nächsten Jahre können solche und ähnliche Strategien das wichtige Zeitungsgeschäft stützen.
Dennoch glaube ich, führen die Verlage diese Diskussionen schon zu lange. Content über neue Kanäle zu streuen und potenzielle Abonnenten über Social Media anzusprechen, können doch nur Übergangs-Maßnahmen sein. Denn sie bringen lediglich die analogen Konzepte auf digitale Wege. So war nur am Rande die Rede von neuen, flexibleren Formaten beispielsweise, dem sich ändernden, situationsabhängigem Verhalten der digitalen Nutzer oder Herangehensweisen abseits der analogen Welt. Keine Trends, keine mutigen Versuche, erst recht keine verrückten Ideen. Vielleicht braucht der User den digitalisierten Content in dieser Form gar nicht, weil er inzwischen Medien ganz anders konsumiert?
Datenanalysen sind zweifelsohne hilfreich, um eine Basis für eine digitale Contentstrategie zu finden. Doch reicht die Erkenntnis, welche Altersgruppe sich wo tummelt, keineswegs. Vielmehr geht es darum, den Nutzer dort abzuholen, wo er Content braucht und haben möchte, weil es ihm gerade passt. Die Form des Contents wird dabei im Digital Publishing künftig eine wichtige Rolle spielen. Kunden entscheiden sich schon heute kaum mehr für eine bestimmte Publikation, sondern suchen Content nach Inhalt und Konsumierbarkeit – eben situativ und kontextabhängig. Ob das Online-Abo dafür das richtige Zukunftsprodukt ist, bleibt offen.
Über Jens Gützkow
Jens Gützkow ist Mitbegründer und Geschäftsführer von PressMatrix. 2011 gegründet, unterstützt das Unternehmen Publisher bei der Entwicklung und Umsetzung von digitalen Monetarisierungsmodellen. Bereits zuvor prägten Jens Gützkow und von ihm mitgegründete Start-ups die Evolution digitaler Geschäftsmodelle mit: Schon lange bevor es App Stores gab, beschäftigte er sich mit Mobile Apps. Er brachte eine Videoplattform mit innovativem Umsatzkonzept auf den Weg und unterstützte u. a. das EU Forschungsprojekt „P2P Next“.