Die re:publica und die Media Convention sind vorbei und haben – zumindest bei mir – viele, ganz verschiedene Eindrücke hinterlassen. Die Veranstaltungen waren voll in jeglichem Sinne: viele Menschen, volles Programm, jede Menge Inspiration. Dabei findet alljährlich ein interessanter Spagat statt, der erstaunlich gut gelingt: Es werden sowohl die großen gesellschaftspolitischen Fragen im Zusammenhang mit immer mehr Digitalisierung diskutiert als auch ganz konkrete Herausforderungen, denen sich Medienmacher heute gegenübersehen.
Technologisches Wettrüsten am Nutzer vorbei
In meinem eigenen Vortrag (Thema: Von Digital Moments und dem Respekt vor der Zeit der Mediennutzer) hatte ich eine der Entwicklungen im digitalen Medienbereich drastisch formuliert: Ich unterstellte den Online-Werbern, vor allem die technischen Möglichkeiten im Blick zu haben – von Click-Through- bis Share-Rates – und diese auf Biegen und Brechen auszunutzen. Oft auf Kosten der Mediennutzer, die sich genervt abwenden oder sich mit Ad-Blockern unliebsame Werbung vom Hals halten. Ich behauptete auch, wir Medienmacher hätten es mit der Werbung übertrieben. Natürlich war das zugespitzt. Dennoch ist es eine Entwicklung, die sich nicht leugnen lässt.
Tatsächlich sprachen mich mehrere Zuhörer nach dem Vortrag darauf an. Ob das nicht zu rigoros und einseitig gedacht sei. Mag sein. Und ob diese Entwicklung nicht zwangsläufig sei, weil ja Medienmacher auch Geld verdienen müssten. Nein, dem kann ich so nicht zustimmen. Denn wenn Werbung die Audience schrumpfen lässt, verfehlt sie komplett ihren Zweck und schadet, statt zu finanzieren.
Mehrere andere Beiträge widmeten sich ebenfalls der Frage, welchen Beitrag Werbung leisten kann und soll. Die Journalistin Andrea Hansen, die die Podiums-Diskussion „Post Werbung: Was passiert, wenn Werbung nicht mehr trägt?“ moderierte, fragte gar provozierend in die Gesprächsrunde, wie krank der Patient „Erlösmodell Werbung“ denn sei. Die Antworten spiegelten die gesamte Bandbreite wider: Von guten Werbe-Erlösen war die Rede, von Verschiebungen hin zu Paid-Content durch endlich besser funktionierende Online-Abo-Modelle und von ausschließlich Leser-finanzierten Konzepten, solide durch Crowdfounding aufgebaut und stark wachsend.
Von Snackable Content bis Augmented Reality
Wenn Werbung zu einem sensibleren Thema wird, rücken der Content und sein Format wieder mehr in den Vordergrund. Die New York Times stellte ihre ersten Gehversuche mit Virtueller Realität vor, die es dem Nutzer erlauben sollen, in den Beitrag einzutauchen. Noch sei der Aufwand riesig und der echte Nutzen nicht immer klar, aber spannend sei die Arbeit daran allemal. Webvideos als seriöse Bildungs- und Informationsquelle, die Bedeutung von Newsletter und Podcasts, der Content als flexibel konsumierbarer Snack und die nahtlose medienübergreifende Nutzung waren nur einige weitere Themen, über die angeregt diskutiert wurde.
Für mich waren die re:publica und die Media Convention in zweierlei Hinsicht spannend. Zum einen ist das Feedback nach einem Vortrag natürlich immer besonders interessant. Es zeigt, an welchen Punkten der Diskussionsbedarf am meisten drängt. Zum anderen spiegeln die Themen der gesamten Veranstaltung und die vollbesetzten Säle den Druck der Branche und gleichzeitig ihren starken Willen zur Weiterentwicklung wider. Ich bin der festen Überzeugung, dass uns Medienmachern hier in den nächsten Monaten mehr einfällt, als immer nur auf amerikanische Erlösmodelle zu schielen.
Über Jens Gützkow
Jens Gützkow ist Mitbegründer und Geschäftsführer von PressMatrix. 2011 gegründet, unterstützt das Unternehmen Publisher bei der Entwicklung und Umsetzung von digitalen Monetarisierungsmodellen. Bereits zuvor prägten Jens Gützkow und von ihm mitgegründete Start-ups die Evolution digitaler Geschäftsmodelle mit: Schon lange bevor es App Stores gab, beschäftigte er sich mit Mobile Apps. Er brachte eine Videoplattform mit innovativem Umsatzkonzept auf den Weg und unterstützte u. a. das EU Forschungsprojekt „P2P Next“.